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Freuen sich wie Taferlklassler, obwohl die Zusammentreffen mit den Lehrergewerkschaftern meistens eher betrüblich bis aggressiv verlaufen: Bildungsministerin Claudia Schmied und Beamtenministerin Gabriele Heinisch-Hoschek bei einer der vielen Verhandlungsrunden.

Foto: apa/Neubauer

In einem Beitrag im STANDARD zitierte Wolfgang Müller-Funk zuletzt eine linke Lehrerin mit den Worten: "Früher wollte die Sozialdemokratie, dass die Arbeiterschaft die gleiche gute Bildung erhalten sollte wie das Bürgertum, heute soll das Bürgertum tendenziell jene der Unterschichten erhalten."

Wie wahr das ist, weiß ich gut, da meine Eltern freundschaftlich mit sozialistischen Schulreformern der Zwischenkriegszeit verkehrten. Diese waren, nebenbei bemerkt, Bürgerliche, hochgebildet, das Idealziel vor Augen, bildungswillige Volksschichten hinaufzuziehen, und damit ein gutes Stück weiter links als ihre Epigonen. Denen bleibt es rätselhafterweise verschlossen, dass sie auf eine Deklassierung der Kinder jenes Segments der Bevölkerung hinarbeiten, dem sie ihre Vorstellung von Schule vorsetzen.Die Misere begann mit der Zerstörung der natürlichen und sinnvollen Einbettung der Agenden des Schulunterrichts in traditionelle universitäre Strukturen. So konnte eine Zunft von Pädagogikaposteln und Bildungsdateningenieuren entstehen, deren Fetisch die Bildungsdokumentation ist und deren Methodik in Humanwissenschaften nur schwach trägt und überdies nutzlose Schnüffelei begünstigt.

Wer würde die Entrücktheit der Beethoveninterpretationen des alten Backhaus in den Merkmalen von Audiodaten wiederzufinden hoffen? Merkwürdig, dass so etwas ernst genommen wird, wenn es um Datenmaterial geht, das von selbsternannten Experten, die nicht über den Tellerrand der Empirie hinaussehen, erhoben und interpretiert wird, was dann problemlos als geisteswissenschaftliche Leistung durchgeht.

Auch muss man erlebt haben, wie in demokratisch konstituierten Gremien die Lehramtsausbildung - vorgeblich aus hehren pädagogischen Motiven, in Wahrheit aus Ignoranz und purem Egoismus - systematisch ruiniert und zu einem Studium zweiter Wahl gemacht worden ist. Diese Diagnose hat schon vor langem Rudolf Taschner gestellt, einer der großen Didaktiker, der wie wenige andere Schule und Hochschule von innen kennt.

In diesem Piratenakt wurden die fachlichen Komponenten zugunsten der pädagogischen in manchen Fächern bis zur Lächerlichkeit ausgedünnt. Das führt, da Anfänger bei der Studienwahl ein feines Sensorium für das Anforderungsprofil eines Studiums haben, zu einer dramatischen Veränderung des Begabungsprofils von Lehramtsstudierenden. Diese Konsequenz ist bereits tabuisiert.

Die Verantwortlichen sind längst über alle Berge, zurück bleibt, durch den jüngsten Reformschub rasant beschleunigt, der Niedergang der fachlichen Ausbildung. Die törichte Antwort der ihren Einflüsterern ergebenen, selbst auf beiden Augen blinden Politik auf verbreitete Schwierigkeiten in den Klassen ist - anstelle konsequenter fachlicher und damit gesellschaftlicher Aufwertung des Lehrpersonals - noch mehr Pädagogik, womit sich Lehrer am Ende zu bedeutungslosen Dompteuren degradiert finden werden. Kindern bleibt davon nichts verborgen. Die kommen zu einem gnadenlosen Urteil über die Fachkompetenz von Lehrern, die nicht einmal auf der Höhe des Lehrstoffs sind.

Konrad Paul Liessmann und Müller-Funk haben mit größter Berechtigung darauf hingewiesen, dass die Lehramtsausbildung nicht zu wenig pädagogische Kompetenz vermittelt, sondern an zunehmender Ferne vom Fachwissen und dem damit verbundenen Verlust an Souveränität und Begeisterungsfähigkeit leidet. Entgegen verbreiteter naiver Meinung trifft man sogar im Unterstufenunterricht in jedem Fach auf Probleme, die dem reinen Pädagogen nicht bewusst oder überhaupt unbekannt sind, für Schüler aber enorm motivierend sein können. So wird am Ende einer ganzen Generation ein verzerrtes Bild des jeweiligen Faches vermittelt. Jedes Kind wird bestätigen, wie sehr es auf Lehrerpersönlichkeiten ankommt. Eine Studentin hat mir einmal mit leuchtenden Augen erzählt, wie ihr Lehrer mehr als die Hälfte einer Klasse zum Studium seines Fachs motiviert hatte.

Ein mächtiger Zeitgeist hat Erzählformen mit dem Beharrungsvermögen von Glaubenssätzen hervorgebracht, welche den Blick auf die Realität trüben. Meine älteste Tochter hat ein Gymnasium mit Leistungsgruppen (damals Schulversuch) besucht. Die wahre Ursache für das gute Zeugnis, das man diesem Versuch ausstellen konnte, war die Bildungsfreundlichkeit der Eltern sowie die Qualität und Motivation des Lehrpersonals. Ansonsten war von den gepriesenen Segnungen eines solchen Systems nichts zu bemerken, im Gegenteil, man hatte ständig mit den inneren Widersprüchen eines Konzepts zu kämpfen, das bis heute nicht wirklich durchdacht ist, speziell dann, wenn man es mit dem Ganztagskonzept zu vermischen beginnt.

Man frage einmal die Kinder. Ich weiß von wenigen, die sich für die flächendeckende Ganztagsidee begeistern können. Bei dieser sind selbst Grundfragen nicht befriedigend geklärt. Ein Schulbetrieb in den Nachmittag hinein ist entbehrlich: Mein humanistisches Gymnasium kam mit Halbtagsunterricht bequem aus, Tests waren unerlaubt, gepaukt wurde frontal, und dennoch war der Bildungserfolg überwältigend. Visionäre Reformer, bitte herhören: Frontal kann mitreißend und hocheffektiv sein, wenn der oder die da vorn etwas zu sagen hat.

Genauso problematisch ist ein System mit fachkundiger nachmittäglicher Lernbetreuung. Wer kann und soll diese überhaupt leisten? Hierzu prototypische Fundstücke aus dem Reformvokabular: Solange Kinder unsere Schule nur mit Unterstützung ihrer Eltern absolvieren können, bleibt Chancengerechtigkeit reine Utopie. Abertausende können nicht sinnerfassend lesen oder haben in grundlegenden Bereichen schwere Defizite. Hochtalentierte werden oft ebenso wenig gut weiter unterstützt.

Das sind die Phrasen, in denen alles und jedes und das Gegenteil vorkommt. Die Ursachen für die Defizite werden nonchalant fehlinterpretiert, und repariert wird mit verkehrten Mitteln. Eine meiner Töchter, die schon beklemmende Inkompetenz erlebt hat, sagt dazu: Wer Nachhilfe zukauft, bekommt wenigstens Kompetenz geliefert, die bei manchen Lehrern gar nicht mehr zu haben ist. Und wenn Eltern besser helfen können und wollen, dann sollte man sie loben. Liessmann ist für den Einwurf zu danken, dass Tausende nicht irgendwo, sondern in den gerühmten Gesamtvolksschulen nicht ordentlich lesen (und rechnen) lernen. Jeder kennt die dümmlichen Trivialisierungen, die man dem Elementarunterricht angetan hat, um "Diskriminierung" zu vermeiden. Und Hochtalentierte werden - erraten - von fachfernen Pädagogen gut unterstützt.

Zum Aufbrechen der verfestigten Inzucht des Lehrerstandes wäre die forcierte Einstellung hochqualifizierter Quereinsteiger ein Rezept. Vom Einsickern solcher Leute kann eine überaus heilsame Wirkung ausgehen. Ich hätte statt einer Spielschule, in der Animateure mit Akademikergehalt wirken, lieber eine Schule, die fundiertes Wissen, Einblick in das Grundwesen der einen oder anderen Wissenschaft und gar so etwas wie Bildung vermittelt. (Gerhard Ramharter, DER STANDARD, 2.9.2013)